Was bedeutet es für die Kunst, wenn das Sehvermögen beeinträchtigt ist oder sich verändert? Rembrandt und Tizian litten unter Altersweitsichtigkeit: Ist das der Grund dafür, daß in ihren späten Werken die Details mehr und mehr verschwimmen? Als Claude Monet im Alter eine Brille bekam, legte er sie bald wieder beiseite: So wolle er die Welt eigentlich gar nicht sehen." (Quelle: Buchinnenseite)
Das Buch begann auch direkt sehr spannend, mit Informationen zu Kurz- und Weitsichtigkeit und dem Einfluss dieser Sehfehler auf den Charakter eines Menschen. So nimmt man zum Beispiel an, dass Kurzsichtige eher Nachtmenschen sind, weil nachts quasi alle Menschen kurzsichtig sind bzw. sich die Sicht für Kurzsichtige nachts weniger verschlechtert, als für Normalsichtige. Auch seien Kurzsichtige eher besser in der Schule und haben insbesondere eine höhere Lesekompetenz, während sie sich draußen (z. B. beim Sport), aber auch im Theater eher unwohl fühlen, weil sie die weit entfernten Dinge eben nicht sehen können.
Natürlich habe ich mich selbst mit den beschriebenen Persönlichkeitsmerkmalen verglichen und ich habe durchaus Parallelen feststellen können. Ich finde es auch nachvollziehbar, dass sich Sehfehler, insbesondere früher, als es noch nicht die heutigen Korrekturmöglichkeiten gab, auf die Kunst wie z. B. die Malerei auswirken. Wenn man die weit entfernten Dinge nur unscharf und verschwommen sieht, wie soll man sie scharf und klar umrissen auf eine Leinwand bringen?
Problematisch war für mich aber leider, dass ich oft nicht zwischen Hypothesen und belegbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen unterscheiden konnte. The Times urteilte über das Buch: „Man kann dieses Buch nicht zu Ende lesen ohne einigen Gewinn für die eigene Konversation“ Mal abgesehen davon, dass ich sowieso kaum jemanden wüsste, mit dem ich über dieses Thema/Buch sprechen könnte, hätte ich immer die Sorge etwas als wissenschaftliche Erkenntnis hinzustellen, was letztendlich nur die Vermutung eines Augenspezialisten, Optikers etc. darstellt. In der Schlussbemerkung heißt es: „Von den unterschiedlichen Interpretationen, die ich in diesem Buch versammelt habe, muß der Leser annehmen oder zurückweisen, was ihm gefällt, denn es liegt in ihrer Natur, daß sie nie vollständig bewiesen oder vollständig verworfen werden können“ (S. 205) Als Soziologin ist mir durchaus bewusst, dass es niemals die eine Wahrheit geben wird. Zu jeder guten Hypothese gibt es eine Gegenhypothese. Das ist vollkommen normal und nur so funktioniert Wissenschaft. Aber es macht einen Unterschied, ob eine Hypothese in 10 in 100 oder in 10.000 Fällen getestet und bestätigt oder widerlegt wurde.
Abgesehen von diesem großen Problem, gab es für mich auch noch weitere kleine Punkte, die das Lesen ein bisschen erschwert haben. Manchmal hat sich mir der Sinn einzelner Abschnitte nicht erschlossen (zum Beispiel, wenn es darum geht, ob und welche Farben Tiere wahrnehmen können) und Textstellen in Französisch oder Italienisch werden nicht übersetzt, bzw. wird nicht darauf hingewiesen, dass im Anhang zum Teil Übersetzungen zu finden sind.
Insgesamt hat das Buch aber immer wieder interessante Ansätze geboten und es gab auf jeden Fall genug Textstellen, die ich mir markiert habe, weil mir der Zusammenhang zwischen Sehfehler und Auswirkung auf die Kunst gefiel. Viele der besprochenen Werke waren auch im Buch abgebildet, nur war manchmal die Anordnung ungünstig. Wenn man dasselbe Bild mehrfach darstellt, um zu zeigen, wie das Bild mit und ohne Sehfehler aussieht, sollte es sich im Idealfall auf einer Doppelseite befinden, damit man nicht hin und her blättern muss.
Ich würde gern nochmal ein Buch zu diesem Thema unter Berücksichtigung des heutigen Wissensstands lesen. Meine Ausgabe dieses Buches ist von 2001, die Erstausgabe ist aber nochmal deutlich älter. Das merkt man unter anderem an der Wortwahl. Ich könnte mir auch vorstellen, dass es heute neue Erkenntnisse gibt, sowohl im Bereich der Kunstgeschichte als auch in der Optometrie, sodass eine neue Zusammenschau der beiden Bereiche interessant wäre.
Liebe Julia
AntwortenLöschenDas klingt spannend und vor allem einmal nach einem ganz anderen Blick auf die Kunst. So kann man vielleicht auc absolute Kunstmuffel einmal in seinen Bann ziehen, finde ich toll. Deine Kritikpunkte verstehe ich (vor allem mit dem Blättern), werde mir aber das Buch einmal näher ansehen. Vielleicht gibt es ja schon aktuellere Versionen oder ähnliche Themen?
Alles Liebe
Livia
Hallo Livia,
Löschenda hast du Recht. Es ist auf jeden Fall ein ganz anderer Blickwinkel.
Eine aktuellere Version habe ich nicht gefunden. Der Autor ist auch schon lang verstorben. Ähnliche Werke konnte ich bisher auch nicht finden, aber ich hab auch noch nicht so intensiv gesucht. Das mache ich bei Gelegenheit mal, da das Thema doch sehr interessant ist.
Liebe Grüße
Julia